Elman Service - Theorien der Staatengründung

Wirtschaftsethnologie und Politische Anthropologie - Staatenbildung und die Ökonomie von Kula und Potlatch

Elman Service stellt die Frage: Wie ist die Institutionalisierung von Herrschaftsmacht zustande gekommen - Durch Gewalt oder durch die Autorität?
Elman Service geht der Frage nach, wie entsteht der Staat, und stellt folgende Hypothesen auf. Die Zivilisation ist gleichbedeutend mit der Entstehung des Staates.

Die Klassenkonflikts-Theorie

Die Ursprünge des Staates, der politischen Herrschaft, liegen im Wesentlichen in der Institutionalisierung einer zentralisierten Herrschaft, diese nahm die Gestalt einer erblichen Aristokratie an.

Er unterscheidet drei Erscheinungsweisen politischer Macht:
Die Führungsfunktion, die Verstärkerfunktion und Vermittlungsfunktion, zum Zweck der Erhaltung der Gesellschaft. Es war die politische Macht, die die Wirtschaft organisierte und nicht umgekehrt. Um persönliche Macht zu erhalten, war es nicht notwendig selbst reich zu sein.

Staatengründung

Bei der Untersuchung der modernen primitiven Staaten, wird die Evolution der Bürokratie - eine theokratische Autorität - betrachtet.

Die "primitiven Staaten" und die sechs bekannten primären archaischen Zivilisationen

  1. Mesoamerika
  2. Peru
  3. Mesopotamien
  4. Ägypten
  5. Industal
  6. China

 haben sich aus 'segmentalen' (egalitären) Gesellschaften entwickelt.  Siehe: Elman Service. Seite 217-308)

Ursprünge politischer Herrschaft

Primitive Gesellschaften waren in Kin-Gruppen (Clans, Lineages) segmentiert, die in ihren Beziehungen zueinander egalitär waren.

1. Archaische Zivilisationen entwickelten sich :

  • um 3500 bis 3000 v. Chr. in Mesopotamien und Ägypten
  • um 2500 v. Chr. im Industal
  • um 1500 v. Chr. am Huang-Ho in China
  • um die Zeitwende im Tal von Mexiko und an der Küste Perus.

Es wird angenommen, dass einige Entwicklungen miteinander zusammenhingen, diejenigen in der Alten Welt jedoch nicht mit denen der Neuen Welt und umgekehrt. Wichtig ist, dass sich diese Vorgänge mehrmals an verschiedenen Orten unabhängig voneinander abspielten.

Wäre die Zivilisation nur einmal entstanden , wäre es nicht notwendig darüber zu spekulieren, ob es sich um einen historischen Zufall handelt; das Kausalgeflecht wäre nicht analysiertbar. So aber können gemeinsame Faktoren verglichen werden:

Ausgangsbedingungen

geographischen, technologischen, ökonomischen und ideologischen Gegebenheiten.

  • Die Rolle von Kriegen
  • Die benachbarte politische Umwelt

Kennzeichen archaischer Zivilisationen sind:

  • Die Schrift
  • Funktionale Merkmale, wie:
  • Urbane Zentren
  • eine Klasse hauptberuflicher Spezialisten (Handwerker, Kaufleute, Beamte, Priester)
  • Monumentale Bauwerke, die das erwirtschaftete Surplus  erkennen lassen
  • Kunst
  • Fernhandel

Der Staat

Bürgerliches Recht und formale politische Herrschaft - charakteristische Merkmale des Staates - unterscheiden sich von den üblichen Formen politischer Macht in primitiven Gesellschaften durch den Umstand, dass sie institutionalisiert, gesetzlich, 'amtlich' sind und die aktuelle Anwendung von Gewalt beinhaltet, androhen oder implizieren. (Die Herrschaft sekundärer Staaten beruht nicht auf Gewalt, sondern auf die 'öffentliche Meinung' und das unabhängige Handeln einer Einzelperson.)

Ein wesentliches Element des Staates ist, dass er sich auf Gewalt und Autorität stützt. Deshalb muß die Frage lauten: Wie ist die Institutionalisierung von Herrschaftsmacht zustande gekommen - durch Gewalt oder durch die Autorität?

  • Kennzeichnend für den Staat ist der Interessenkonflikt zwischen der winzigen Klasse der Herrschenden und der breiten Masse der Bevölkerung. (Diese Kennzeichnungen sind nicht alle zutreffend.
  • Macht der Gewalt und der Autorität
  • Politische Herrschaft bezeichnet eine Bürokratie, die Kraft ihrer Autorität eine Bevölkerung beherrscht
  • Politische Macht ist erkennbar durch Verhaltenslenkung, z.B. bestrafen.
  • Entscheidungshandeln, besser Führung (Leadership).
  • Judizierung.

Theorien über Ursprung und Wesen politischer Herrschaft

Durkheim (Evolutionist) charakterisierte primitive Gesellschaften als ein System gleichförmiger, undifferenzierter, segmentaler Größen, die durch mechanische Solidarität zusammengehalten werden. Er behauptet, dass Gesellschaft sui generis existiert

Spencer führte den Aufstieg des Staates auf den Krieg und auf die Entwicklung der rechtlichen, wirtschaftlichen und religiösen Organisationen zurück. Nach Spencers Auffassung gibt es zwei Arten von Staaten:

  • Der militante Staat, bei dem das Individuum dem Kollektiv untergeordnet ist.
  • Bei der zweiten Variante ist die industrielle Organisation ein Gemeinschaftsunternehmen, das auf die Wohlfahrt der Individuen abzielt. Die wesentliche Variable in der politischen Evolution ist der erfolgreiche Krieg. Spencer gilt als Mitentwickler der "Konflikttheorie", die zur Erklärung des Entstehens von Staaten herangezogen wird, wobei Konflikt immer externer Konflikt ist, also nicht der persönliche, anarchische. Wichtig hierbei ist die Miteinbeziehung von Klassenschichtung und Privateigentum: Privateigentum kennt die siedelnde Gesellschaft, nicht die nomadisierende.

Erfolgreiche Eroberungen bestimmen aber die privilegierte soziale Stellung, weshalb es zum Erhalt dieser sozialen Stellung notwendig ist, Eroberungskriege zu führen. Der Staat ist somit ein Produkt der Eroberungen.

Kriege führen aber nicht, wie auch von Childe behauptet, zwangsläufig zum Aufstieg herrschender Gruppen, wie Beispiele unter Stammesgesellschaften zeigen, bei denen Krieg häufig ist.

Morton Fried  hat die Entstehung des Staates in verschiedene (evolutionäre) Teilaspekte zerlegt.

  • Egalitäre Gesellschaften; Horden und Stammesgesellschaften
  • Ranggesellschaften; Häuplingstümer.
  • Geschichtete Gesellschaften und Staaten.

Staaten können unter verschiedenen Umständen entstehen, jedoch durchläuft jeder pristine Staat Zivilisationen, die Ausdruck einer orginären Reaktion auf ihrem eigenen Territorium sind. Die Phase der Schichtung ist für Fried das auslösende Moment für Staatlichkeit.

Geschichtete Gesellschaften sind Klassengesellschaften, deren Unterschiede aus der verschiedenen ökonomischen Macht des Einzelnen entstehen, anders ausgedrückt: Politische Systeme werden durch distributive Systeme determiniert.

Somit spielt bei der Entstehung pristiner Staaten Krieg und Sklaverei eine besondere Rolle.

Die egalitäre Gesellschaft

Neben dem Versuch, die Welt nach technologischen, geographischen oder rassischen Gesichtspunkten einzuordnen, bezog sich die früheste Einteilung der Welt auf die Klassifikation von Völkern mit formaler Herrschaft oder keiner Herrschaft. Von Hobbes bis Rousseau wurde gefolgert, dass die prä-zivilisierten Gesellschaften frei von gouvernementalem Zwang waren. Die primitive Gesellschaft war anarchisch, und habe somit die inhärenten sozialen Qualitäten des Menschen in sich.Tatsächlich ist der Krieg wie bei Hobbes, oder der Frieden und Edelmut bei Rousseau inhärent, aber bestimmt den Menschen als soziales Wesen nur unzureichend, da soziale Beziehungen in allen  Gesellschaftsformen durch Etikettenregeln und normative Sanktionen geregelt werden. Da nicht alle Menschen gleich sind, entstehen - ganz abgesehen von der Entwicklung  individueller Devianzen - Probleme, die innerhalb von Gruppen zu synchronisieren sind. Dazu ist es aber, entgegen den Meinungen von Hobbes und Rousseau, nicht notwendig soziale Konflikte gouvernemental zu lösen, da soziale Regeln menschlich wesenseigen sind.

Hobbes war der Ansicht, dass der ursprüngliche Zwangsstaat das Ergebnis Einzelner sei, die des Kampfes aller gegen alle überdrüssig waren. Dies ist eine nicht zu beweisende Hypothese.

Egalität und Einfluß

Findet sich in den Statussystemen des häuslich-familiären Bereichs. Sie sind Autoritätssysteme mit hierarchischen Statusstrukturen, die zutiefst inegalitär sind. Selbstverständlich sind diese Strukturen und Systeme nicht politisch, da sie keine häuslichen Probleme darstellen. Selbst primitive Gesellschaften sind im häuslichen Bereich einer Autoritätshierarchie unterworfen, politisch jedoch egalitär, im Gegensatz zum Häuplingstum, das als Ganzes hierarchisch ist.

  • In egalitären Gesellschaften wird die politische Führung - also alles außerhalb der Familie - auf ein Individuum übertragen, welches die entsprechenden Fähigkeiten besitzt.
  • Egalitäre Systeme kennen keinen dauerhaften 'Häuptling', sie dulden es nicht einmal ansatzweise.

Beispiel für eine egalitäre Gesellschaften

Die San oder Juǀ’hoansi und ǃKung

Das südafrikanische San-Volk zählt zu den egalitären Gesellschaften, die sich ohne ein übergeordnetes politisches Führungssystem organisieren. Auch wird keine formale Rechtsprechung ausgeübt. Verstöße gegen die moralischen Grundsätze der San werden schlimmstenfalls mit einem Ausschluss aus der Gemeinschaft geahndet. Nomadisierende Kleingruppen von oft 40 bis höchstens 200 San setzen sich – neben verwandtschaftlichen Beziehungen – nach persönlichen Vorlieben flexibel zusammen. Über Gruppenbelange wie Jagd oder Ortswechsel wird gemeinsam im Konsens entschieden; Frauen sind gleichberechtigt. Die Wirtschaft der San ist eine Schenkökonomie, gründend auf regelmäßigen Schenkungen statt auf Handel und Kauf von Gegenständen und Dienstleistungen.

Egalitären Gesellschaftend der ǃKung

The Bushmen are the remnants of Africa's oldest cultural group, genetically the closest surviving people to the original Homo sapiens “core” from which the Negroid people of Africa emerged. Bushmen are small in stature generally with light yellowish skin, which wrinkles very early in life. Bushmen traditionally lived in Southern Africa in the following countries, although virtually none live purely by hunting and gathering today: Botswana, Namibia, South Africa, Zambia, Zimbabwe and Angola, with loosely related groups in Tanzania.

Vermittlung

Angestrebt wird Einstimmigkeit - im Gegensatz zur demokratischen Mehrheitsregel. Gelingt dies nicht wird bei Meinungsverschiedenheiten innerhalb derselben Gemeinschaft ein Duell ausgetragen.

Anders ist es in dem Fall von auseinanderlebenden Gruppen.

"Eine primitive Kinship-Gruppe - eine Lineage oder ein Clan - reagiert als ganze auf Schädigungen, die einem ihrer Mitglieder zugefügt wurden. Umgekehrt wird davon ausgegangen, dass dem Gesetz der Vergeltung Genüge geschehen ist, wenn ein beliebiges Mitglied aus der Gruppe des Übeltäters ebenfalls geschädigt wurde."

Stammesfehden werden oft durch die Bestrafung innerhalb der eigenen Gruppe vermieden.

10. Außenpolitische Problematik

Beziehungen nach außen

  • Wenn politische Herrschaft zur Ausübung legaler Gewalt errichtet wurde, dann verfügt sie auch über die externe Androhung von Gewalt.
  • Kriegerische Auseinandersetzungen, werden oft durch Reziprozität vermieden. Es gibt zwei Formen des Tausches:
  • Gabentausch (Kein Handel im modernen Sinn)
  • Heirat: Blutsverwandtschaft wird erzeugt zum Schutz des eigenen Clans, hiermit wird der häusliche Bereich nach außen gelegt. Heirat wird als sicherste und älteste Bündnisstiftung betrachtet. Heiratsbeziehungen sind äußerst kompliziert.
  • Politische Staaten bilden sich dann, wenn die Integration neuer Mitglieder durch Erweiterung der Verwandtschaft nicht mehr durchzuführen ist. D.h.: Egalitäre Gesellschaften haben keine fixierten politischen Grenzen.
  • Aus der Unterscheidung von egalitären Staaten einerseits und primitiven Staaten und Häuplingstümern andererseits ergeben sich auch Konsequenzen für Invasoren.
  • Im zweiten Fall ist die Chance zur Ausbeutung der Urbevölkerung groß, indem die Form der "indirekten Herrschaft" ausgeübt wird.
  • Bei egalitären Gesellschaften, die dem Prinzip der "Spaltung und Fusion" folgen ist dies nicht möglich. Ausnahmen bilden aber die sogennanten "individualisierten oder fragmentierten" Kulturen, so z.B. im oberen Xingu-Gebiet. Die Fragmentierung ist eine Form der Anpassung an die politisch-militärische Überlegenheit anderer, in den meisten Fällen also an die Invasoren.
  • Hervorgerufen wurde die Fragmentierung aber auch durch die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten und Seuchen, die die Ureinwohner dezimierten.

Die Institutionalisierung der Macht

Problemstellung: Wie wird aus einer persönlichen Macht, korporative, institutionalisierte Macht; wie aus einer egalitären, segmentalen Gesellschaft eine hierarchische Gesellschaft?

Postulat:" Ist eine Form persönlicher Macht einmal etabliert und institutionalisiert, so entstehen zu gegebener Zeit diverse nachgeordnete Ämter, so dass sich eine Hierarchie bildet. Diese Ämterhierarchie unterlag bei allen Häuplingstümern der Erbfolge, und so schälten sich dauerhafte soziale Schichtungen heraus."

Hierarchie und Autorität

Das normale Autoritätssystem egalitärer Gesellschaften, beruht auf der Altersfolge bei Männern, d.h. einer familistischen  Konzeption, die auf dem Alters- und Geschlechtsstatus aufbaut.

Der nächste Schritt ist der des "big man" , der der in der Mitte steht. Er sammelt Gefolgsleute um sich, die ihm bei sognannten "Geschenkfesten" verpflichtet sind Schweine etc. zu geben, die dann bei einem Fest an andere Gruppen verteilt werden. Dies erinnert an den Poltlasch.

Die Gruppe des big man beläuft sich höchstens auf ein paar hundert, und beruht auf einer rein persönlichen Form von Macht, die kurzlebig und instabil ist.

Vom "big man" zum Häuplingstum

Einblicke in Eingeborenengesellschaften verschiedener Kontinente haben das Prinzip der Primogenitur gezeigt.

Ein weiterer Faktor ist die Redistribution, die von einer Hand geregelt wird, in einem Gebiet, das sich auf mehrere Erzeugnisse, bestimmt durch die Umgebung in der mehrer Dörfer angesiedelt sind, herausgebildet hat. Das Dorf mit den besten Ressourcen und den besten Handelsmöglichkeiten stellt den big man, der durch Heirat seiner jüngeren Söhne (cadet lines), die keinen Anspruch auf den Häuplingstitel haben, seinen Einfluß nun auch auf anderer Dörfer ausweitet. Es gilt als gesichert, dass sich aus einer Häuplingslinie auch eine Priesterlinie entwickelt. In der Häuplingslinie (konische Clans oder Ramages ) stehen die direkten Nachfahren, deren Begründer zur Hauptgottheit erhoben wurde. Das Häuptlingstum und seine Ramagestrukturen unterscheiden sich bereits in seiner Primogenitur von dem "Zustand der Natur" wie von Rousseau postuliert. Sie ähneln eher der Feudalepoche in Europa.

Was ist Gewohnheit?

Positive Sanktionen sind Billigung durch die Öffentlichkeit. Negative Sanktion ist die Mißbilligung, oder soziale Bestrafung durch die Öffentlichkeit .D.h.:

Die Sanktionen werden nicht durch eine offizielle Autoritätsinstanz verhängt, die den Status eines 'Dritten' hätte; der einzige 'Dritte' in einer segmentären Gesellschaft ist eine Person oder Gruppe mit einer familistischen Art von Autorität. "  (Betagte Verwandte, die als Friedensstifter fungieren.)

  • In segmentalen Gesellschaften gibt es die Herrschaft der Gewohnheit.
  •  In hierarchischen Gesellschaften tritt das Recht hinzu, des vom Staat ausgeübten. gewaltsamen Zwangs.

Es muß also unterschieden werden zwischen, mit Sanktionen belegter Gewohnheit und Recht.

Die Häuplingstümer

sind dem Staat vorausgegangen und werfen zusätzliche Probleme auf. In den Häuplingstümern sind Wesensmerkmale wahren Rechts enthalten: Die Autoritätsstruktur, die über der familistsichen Ebene fungiert. Häuptlingstümer kennen eine zentrale Lenkungsinstanz, erbliche hierarchische(politisch) Statusvorkehrungen mit aristokratischem Ethos, nicht aber einen formal-rechtlichen Apparat gewaltsamer Repression.

  • Sekundäre Staaten oder derivative Staaten
  • Sekundäre Staaten sind auf Druck von außen, oder durch äußere Umstände entstanden
  • Primäre Staaten (oder 'Pristinen oder Native)
  • Primäre Staaten sind Zivilisationen, die Ausdruck einer orginären Reaktion auf ihrem eigenen Territorium sind.
Literatur: Service, Elman: Ursprünge des Staates und der Zivilisation, Ffm, 197