Wirtschaftsethnologie und Politische Anthropologie - Staatenbildung und die Ökonomie von Kula und Potlatch

Wissenschaftsgeschichte

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Ethnologie als ein Nischenfach. Sie hatte vor allem jene Völker und Kulturen zum Gegenstand, die von bereits länger etablierten Wissenschaften (Soziologie, Geschichte, Philologie, Indologie usw.) nicht erforscht wurden, mit denen aber vor allem europäische Kolonisatoren, Missionare und Reisende sehr oft zu tun hatten.

Seitdem das Fach gegen Ende des 19. Jahrhunderts Einzug in die Universitäten hielt, erweist sich die Definition des Gegenstandes dieser neuen Wissenschaft als schwierig, weil sie ursprünglich meist defensiv in Abgrenzung zu anderen Wissenschaften geschah und die erforschten Gesellschaften oft nur durch das bestimmt wurden, was ihnen im Gegensatz zu großen staatlichen Kulturen fehlte. Deshalb wurden vor allem folgende Negativ- bzw. Mangeldefinitionen des Gegenstandes gewählt:

  • nicht entwickelte sogenannte primitive) Kulturen,
  • schriftlose Kulturen
  • nicht-industrielle Kulturen
  • nichtstaatliche Kulturen
  • savages  „sauvages“, „Wilde“ also nicht zivilisierte, nicht erzogene bzw. im Naturzustand befindliche Kulturen
  • geschichtslose und damit der Tradition verhaftete unmoderne Kulturen
  • nicht entfremdete oder von der eigenen westlichen Zivilisation unberührte Kulturen
  • nichteuropäische Kulturen

Oft wurden besonders auch diejenigen Gesellschaften untersucht, bei denen man davon ausging, dass sie vom Aussterben bedroht seien. Zusammenfassend und positiv gewendet lässt sich sagen, dass sich mit der Ethnologie eine Wissenschaft herausbildete, die zum allergrößten Teil stabile, überschaubare Kleingruppen im Zentrum hat, die sich durch hohe Kommunikationsdichte aller abhängigen Gesellschaftsmitglieder auszeichnen (Face-to-Face-Beziehungen) und sehr oft verwandtschaftlich oder quasi-verwandtschaftlich organisiert sind. Auch wenn sich Kleingruppen innerhalb von größeren gesellschaftlichen Verbänden organisieren, sind sie öfter ein Gegenstand ethnologischer Erforschung (Urbanethnologie, Unternehmensethnologie).

Vor allem in Kleingruppen kann man mit der Methode der teilnehmende Beobachtung zu sinnvollen und modellhaften Aussagen gelangen, ohne dabei statistische und quantitative Verfahren anwenden zu müssen. Durch die weitgehende und oft lange währende Unabhängigkeit der untersuchten Gruppen wurde einerseits eine holistische Perspektive möglich, in der ähnlich der Soziologie das Ganze einer Gesellschaft in den Blick genommen werden kann, während sie andererseits breiteste Vergleichsmöglichkeiten bietet, da in den Ethnographien ein riesiger Erfahrungsschatz unterschiedlichster menschlicher Lebensformen ausführlich verschriftlicht wurde. Sie eignet sich damit besonders gut für den Test von Generalisierungen.